Im Zuge der “Machtergreifung” konnte das “Dritte Reich” ihren totalitären Führerstaat im Frühjahr 1933 schrittweise ausbauen. Ein wichtiges Ereignis markierte der “Tag von Potsdam“, als die Nationalsozialisten und Adolf Hitler große Sympathien in der Bevölkerung gewinnen konnten. Ein zeitgenössische Tagebuchaufzeichnung schildert die Inszenierung Hitlers am 21. März 1933 in Potsdam:
Der “Tag von Potsdam”! Ein Flaggenmeer in allen Straßen. Auch wir konnten uns nicht ausschließen. Ich hole also die alte schwarz-weiß-rote Fahne aus dem Weltkrieg vom Boden herunter und hisse sie. Die schwarz-rot-goldene, das gute, geschändete, verratene und niemals genug geschätzte Stück wandert dafür auf den Boden. […] Am Vormittag Übertragung der Feiern in Potsdam über den Rundfunk. Alles geschickt, eindrucksvoll, ja hinreißend, jedenfalls für die Massen. Aber auch wir können und dürfen die Augen nicht verschließen vor dem, was hier geschieht. Heute und hier gelang die Vermählung, wenn nicht für ewig, so doch auf Zeit, zwischen den von Hitler geführten Massen und dem “Geist von Potsdam”, dem Preußentum, repräsentiert durch Hindenburg.
Welch großartige Inszenierung durch den Meisterregisseur Goebbels! Die Fahrt Hindenburgs, der Regierung und der Abgeordneten geht von Berlin bis Potsdam durch ein einziges geschlossenes Spalier jubelnder Millionen. Ganz Berlin scheint auf der Straße zu sein. Regierung und Abgeordnete gehen von der Nikolai- zur Garnisonkirche zu Fuß. Glockenläuten und Kanonenschießen. Hindenburg betritt mit Hitler zusammen die Garnisonkirche. Der Rundfunksprecher weint fast vor Rührung. Dann verliest Hindenburg seine Botschaft. Einfach, stark, aus schlichtem Herzen kommend und deshalb wohl zu schlichten Herzen sprechend. Allein die Tatsache, daß ein Mann dasteht, der Generationen deutscher Geschichte vereinigt, der 66 mitkämpfte, 71 bei der Kaiserkrönung in Versailles dabei war, 14 bis 18 zum Nationalhelden emporwuchs, dem keine verlorene Schlacht und kein verlorener Weltkrieg bei unserem merkwürdigen Volk etwas an Popularität nehmen konnten, den im Gegenteil erst die Niederlage zu mythischer Verklärung erhob, der dann als Greis noch einmal uns schließlich ein zweites Mal die Führung des Reiches übernahm, nicht aus Eitelkeit oder Machtsucht, sondern zweifellos aus preußischem Pflichtgefühl – er vollzieht nun, kurz vor dem Grab, die Vermählung seiner Welt mit der neu aufgestiegenen, die der österreichische Gefreite Hitler repräsentiert.
Dann spricht Hitler. Es ist nicht zu leugnen: er ist gewachsen. Aus dem Demagogen und Parteiführer, dem Fanatiker und Hetzer scheint sich – für seine Gegner überraschend genug – der wirkliche Staatsmann zu entwickeln. Also doch ein Genie, in dessen rätselhafter Seele ungeahnte und unerhörte Möglichkeiten liegen? Die Regierungserklärung zeichnet sich durch auffallende Mäßigkeit aus. Kein Wort des Hasses auf die Gegner, kein Wort von Rassenideologie, keine Drohung nach innen oder außen. Nur was sie wollen, davon spricht Hitler. Erhaltung der großen Tradition unseres Volkes, Festigkeit der Regierung statt ewigen Schwankens, Berücksichtigung aller Erfahrungen im Einzel- und Gemeinschaftsleben, die sich in Jahrtausenden als nützlich für die Wohlfahrt der Menschen erwiesen haben. Hindenburg legt an den Gräbern der preußischen Könige Kränze nieder. Der greise Feldmarschall reicht seinem Gefreiten aus dem Weltkrieg die Hand. Der Gefreite neigt sich tief über die Hand des Feldmarschalls. Kanonen donnern über Potsdam – über Deutschland.
Niemand kann sich der Erschütterung entziehen. Auch Vater ist tief beeindruckt. Mutter stehen die Tränen in den Augen. Ich gehe schweigend aus dem Zimmer, aus dem Haus, hinaus in den Wald. Ich muß allein sein. Am Abend eine stille Stunde mit M. Er ist völlig unberührt von den Geschehnissen des Tages, wie wenn ihn eine dichte Schutzhaut umgäbe. Er hält alles nur für abgekartetes Theater, wird keinen Augenblick schwankend in seiner instinktiven Abneigung. “Ihr werdet’s schon noch erleben!” sagt der Einundzwangzigjährige. Ich schweige beschämt und zerrissen.
Zitiert nach: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen, Weltkriege und Revolutionen 1914-1945, Band 5, München 1961, S. 281-282.