Die nationalsozialistische Außenpolitik ging nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht und der Rheinlandbesetzung eine völlige Provokation mit den europäischen Staaten ein. Als Reaktion auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sprach der britische Staatsmann Winston Churchill am 14. März 1938 folgende Worte:
Die Tragweite des Ereignisses vom 12. März läßt sich nicht übertreiben. Europa sieht sich vor einem Angriffsplan, der sorgfältig ausgedacht und zeitlich berechnet ist und sich von Stufe zu Stufe entwickelt, und es steht nur eine einzige Wahl offen, nicht nur für uns, sondern auch für andere Länder: sich entweder wie Österreich zu unterwerfen, oder wirksame Maßnahmen zu treffen, solange noch Zeit ist, die Gefahr abzuwenden, und falls sie nicht abgewendet werden kann, ihr zu begegnen. […] Wenn wir weiterhin auf die Ereignisse warten – wieviele unserer Hilfsmittel werden wir uns damit verscherzen, die jetzt noch für unsere Sicherheit und für die Erhaltung des Friedens zur Verfügung stehen? Wieviele Freunde werden sich uns entfremden, wieviele mögliche Verbündete werden wir einen nach dem andern im grauenhaften Abgrund verschwinden sehen? Wie oft noch wird der Bluff Erfolg haben, bis hinter dem Bluff unablässig zunehmende Kräfte sich zur Wirklichkeit zusammengeballt haben? […] Wo werden wir heute in zwei Jahren stehen, zum Beispiel, wenn die deutsche Armee zweifellos viel größer als die französische Armee sein wird, und wenn alle kleinen Nationen aus Genf geflohen sein werden, um der immer anwachsenden Macht des Nazisystems zu huldigen und die bestmöglichen Bedingungen für sich zu erlangen? […]
Wien ist das Zentrum der Verbindungen aller Länder, die das alte Österreichisch-Ungarische Kaiserreich bildeten, und aller Länder im Südosten Europas. Eine lange Strecke der Donau befindet sich nun in deutschen Händen. Die Beherrschung Wiens ermöglicht dem nazistischen Deutschland die militärische und wirtschaftliche Kontrolle sämtlicher Verbindungen in Südosteuropa, der Straßennetze, der Flüsse, der Bahnlinien. Worin besteht die Auswirkung auf das Gefüge Europas? Worin besteht die Auswirkung auf das, was man als Gleichgewicht der Mächte bezeichnet, und auf das, was man die Kleine Entente nennt? Einzeln genommen mag man die drei Länder der Kleinen Entente als Mächte zweiten Ranges bezeichnen, aber es sind außerordentlich starke und lebenskräftige Staaten, und vereinigt stellen sie eine große Macht dar. […] Rumänien besitzt das Öl, Jugoslawien die Erze und Rohstoffe. Beide verfügen über große Armeen, beide werden in bedeutendem Ausmaß von der Tschechoslowakei mit Kriegsmaterial beliefert. […]
Die Tschechoslowakei ist in diesem Augenblick isoliert, sowohl in wirtschaftlicher wie in militärischer Hinsicht. Ihr Handelsweg über Hamburg, der auf dem Friedensvertrag beruht, kann natürlich jederzeit gesperrt werden. Jetzt stehen ihre Bahn- und Flußverbindungen nach Süden und darüber hinaus auch nach Südosten in Gefahr, jeden Augenblick durchschnitten zu werden. […] Das Wirtschaftsleben dieses Kleinstaates kann als Folge der Gewalttat, die in der Nacht des letzten Freitags begangen wurde, in größtem Ausmaß gedrosselt werden. Es ist ein Keil in das Herz der sogenannten Kleinen Entente gestoßen worden, dieser Gruppe von Ländern, die dasselbe Recht haben, in Europa unbehelligt zu leben, wie wir alle das Recht haben, in unserer Heimat unbehelligt zu leben.
Auszüge zitiert nach: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen, Weltkriege und Revolutionen 1914-1945, Band 5, München 1961, S. 376.