Im 11. Jahrhundert kam es zwischen dem Kaiser und Papst zu einem Konflikt um die Vorherrschaft im Heiligen Römischen Reich, der als Investiturstreit bekannt wurde. Papst Gregor VII. war ein eifriger Befürworter der Kirchenreform und wollte die Unabhängigkeit vom Einfluss des deutschen Königs Heinrich IV. erlangen. Mit seinem 1075 verfassten Schriftstück “Dictatus papae” stellte er sich vehement über die Stellung des Kaisers und brachte damit die deutschen Fürsten gegen Heinrich IV. auf. Die entsprechende Quelle ist in Gregors Register (ed. Caspar II, 55a, S. 201 ff) überliefert:
Diktat des Papstes.
1.) Einzig und allein von Gott ist die römische Kirche gegründet.
2.) Nur der römische Papst trägt zu Recht den Titel des universalen Papstes.
3,) Er ganz allein kann Bischöfe absetzen und auch wieder einsetzen.
4.) Sein Legat, auch wenn er einen geringeren Grad bekleidet, führt auf jedem Konzil den Vorsitz vor den Bischöfen; er kann diese absetzen.
5.) Auch Abwesende kann der Papst absetzen.
6.) Von anderer Gemeinschaft ganz abgesehen, darf man mit Exkommunizierten sich nicht einmal in demselben Hause aufhalten.
7.) Nur er darf, wenn es die zeitliche Notwendigkeit verlangt, neue Gesetze erlassen, neue Gemeinden gründen, aus einer Kanonie eine Abtei machen und umgekehrt, ein reiches Bistum teilen und arme zu einem einzigen zusammenlegen.
8.) Nur er verfügt über die kaiserlichen Insignien.
9.) Alle Fürsten haben die Füße einzig und allein des Papstes zu küssen.
10.) Nur sein Name darf in der Kirche genannt werden.
11.) In der ganzen Welt gilt nur dieser Papsttitel.
12.) Der Papst kann Kaiser absetzen.
13.) Er kann im Falle der Not Bischöfe von einem zum anderen Bistum versetzen.
14.) Er kann in der ganzen Kirche, wie er will, Kleriker ordinieren.
15.) Wer von ihm ordiniert ist, kann wohl eine andere Kirche leiten, aber nicht in ihr dienen. Von einem anderen Bischof darf er keinen höheren Rang empfangen.
16.) Keine Synode darf ohne seine Weisung eine allgemeine genannt werden.
17.) Gegen seine Autorität kann kein Kapitel und kein Buch als kanonisch gelten.
18.) Sein Entscheid kann von niemandem aufgehoben werden, er selbst aber kann Urteile aller anderen Instanzen aufheben.
19.) Über ihn besitzt niemand richterliche Gewalt.
20.) Niemand darf den verurteilen, der an den apostolischen Stuhl appelliert.
21.) Wichtigere Rechtsfälle aller Kirchen müssen vor ihn gebracht werden.
22.) Die römische Kirche hat nie geirrt und wird nach dem Zeugnis der heiligen Schrift auch in Ewigkeit nicht irren.
23.) Wenn der römische Papst in kanonischer Wahl erhoben ist, dann wird er ohne Zweifel nach dem Zeugnis des heiligen Ennodius von Pavia heilig durch die Verdienste des heiligen Petrus, wie auch viele Kirchenväter bestätigen und wie es auch in den Dekreten des heiligen Symmachus enthalten ist.
24.) Auf seinen Befehl hin und mit seiner Erlaubnis dürfen Untergebene [gegen ihre Vorgesetzten] Klage erheben.
25.) Auch ohne Beschluß einer Synode kann er Bischöfe ein- und absetzen.
26.) Wer nicht mit der römischen Kirche übereinstimmt, kann nicht als katholisch [rechtgläubig] gelten.
27.) Er kann Untertanen vom Treueid gegen unbillige [Herrscher] entbinden.
Zitiert nach: Gregors Register ed. Caspar II, 55a, S. 201 ff, übersetzt von W. Lautemann, in: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.): Geschichte in Quellen, Mittelalter, Band 2, München 1975, S. 291 f.