Im Rahmen des Investiturstreits ereignete sich im Winter 1077/78 der sogenannte “Gang nach Canossa” . Demütig nahm der römisch-deutsche König Heinrich IV. einen langen Weg zur Burg Canossa auf sich, um Papst Gregor VII. um Vergebung zu bitten. Gregor schilderte in einem an seine deutschen Anhänger verfassten Brief (1077) seine Reaktion auf jenes Ereignis:
Inzwischen traf bei uns die sichere Nachricht von der Ankunft des Königs ein. Er hatte übrigens schon zuvor Boten bittend zu uns gesandt und versprochen, er werde in allem Gott, dem heiligen Petrus und uns vollständige Genugtuung und jeden Gehorsam zur Besserung seines Lebens leisten, wenn er nur von uns der Gnade der Freisprechung und des apostolischen Segens gewürdigt werde. Wir berieten uns hierüber mit zahlreichen Personen, weigerten ihm dies lange und ließen ihm durch alle Boten, die hin- und hergingen, schärfsten Vorhalt über seine Vergehen machen. Da erschien er selbst in geringer Begleitung, ohne eine feindliche oder vermessene Absicht zu zeigen, vor der Burg Canossa, auf der wir uns eben aufhielten. Drei Tage lang stand er hier vor dem Burgtore, hatte jedes Abzeichen seiner königlichen Würde abgelegt, harrte unbeschuht und in linnenem Gewande kläglich drei Tage lang aus und ließ nicht eher davon ab, unter vielen Tränen die tröstliche Hilfe der apostolischen Erbarmung anzuflehen, bis er alle, die zugegen waren und die davon hörten, zu solch innigem Mitleid und Erbarmen bewegte, dass sie mit vielen Bitten und Zähren [Tränen] für ihn eintraten und unsere ungewöhnliche Härte nicht begreifen konnten, ja, einige riefen, das sei nicht der Ernst apostolischer Strenge, sondern grausame und wilde Tyrannei.
Endlich durch seine beharrliche Reue und die so eindringliche Fürbitte aller Anwesenden überwunden, lösten wir ihn schließlich vom Bande des Bannes und nahmen ihn in die Gemeinschaft und in den Schoß der heiligen Mutter Kirche auf, nachdem wir uns von ihm die unten folgenden Sicherungen haben geben und durch den Abt von Cluny, unsere Töchter Mathilde und die Gräfin Adelheid sowie die übrigen Fürsten, Bischöfe und Laien, die uns hierzu tauglich schienen, bekräftigen lassen.
Wir wünschen nun bei nächster Gelegenheit in euer Land hinüberzukommen, um – wonach wir uns seit Langem sehnen – mit Gottes Hilfe zum Frieden der Kirche und der Eintracht des Reiches alles möglichst in Einklang zu bringen. Wir legen nämlich großes Gewicht darauf, dass sich euer Liebden vollkommen klar darüber seien, dass, wie ihr aus den unten folgenden Sicherungen sehen könnt, die ganze Angelegenheit noch in der Schwebe ist; unser Hinkommen und Einmütigkeit bei euren Entschließungen ist daher von größter Wichtigkeit.
Zitiert nach: Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen, Bd. 2/Mittelalter, München 1978, S. 313f.