Brief Metternichs an den badischen Gesandten

Der Wiener Kongress 1814/15 beendete die französische Vorherrschaft über Europa und führte eine Restaurationspolitik ein, die die Neuerungen der Französischen Revolution wieder rückgängig und nationale und liberale Forderungen unterdrücken sollte. Leitbild dieser Politik wurde Österreichs Staatskanzler Fürst von Metternich, der am 4. Mai 1820 einen Brief an den badischen Gesandten schrieb und diesen darin aufforderte, die anti-liberalen Karlsbader Beschlüsse umzusetzen.

Die Zeit rückt unter Stürmen vorwärts; ihren Ungestüm aufhalten zu wollen, würde vergebliches Bemühen sein. Festigkeit, Mäßigung und endlich Vereinigung in wohlberechneten Kräften, dies allein bleibt der Macht der Beschützer und den Freunden der Ordnung übrig. Das Ziel ist leicht zu bestimmen; in unseren Zeiten ist es nichts mehr und nichts weniger als die Aufrechterhaltung dessen, was vorhanden ist. Dieses zu erreichen, ist das einzige Erhaltungsmittel; es ist vielleicht sogar das geeignetste, das bereits Verlorene wiederzuerlangen. Dazu müssen sich daher die Anstrengungen eines jeden vereinigen, sowie die Maßregeln aller derjenigen, die ein und derselbe Grundsatz, ein und dasselbe Interesse miteinander verbinden. Die Brennstoffe, welche seit langer Zeit vorbereitet waren, haben sich in der Epoche von 1817 bis 1820 entflammt. Der falsche Schritt, […] die Duldung, welche man in Deutschland diesen gefährlichen Lehren angedeihen ließ; die bewiesene Schwäche, um die Mißbräuche der Presse zu unterdrücken; die Übereilung endlich, womit man den Staaten des südlichen Deutschlands Konstitutionen gab; alle diese Ursachen haben den Parteien, die durch nichts befriedigt werden können, den allerunglücklichsten Mißbrach nahegelegt.

Nichts beweist mehr die Unmöglichkeit, die Parteien zu befriedigen als die Bemerkung, daß die tätigsten Umtriebe gerade in dem Staate stattgefunden haben, wo man die meiste Nachgiebigkeit gegen ihre vermessenen Wünsche an den Tag gelegt hat. Das Übel war vor dem Kongresse zu Karlsbad zu einem solchen Grade gediehen, daß es nur einer unbedeutenden politischen Verwicklung bedurft hätte, um die gesellschaftliche Ordnung völlig umzustürzen. Die Weisheit des Systems, welches die großen Mächte annahmen, hat uns vor dieser Gefahr geschützt, die selbst noch im gegenwärtigen Augenblick tödlich sein könnte.

Um also auf eine glücklichere Zukunft hinauszuarbeiten, muß man wenigstens der Gegenwart gewiß sein; die Erhaltung dessen, was besteht, muss folglich die erste und wichtigste aller Sorgen sein. Darunter verstehen wir nicht nur die alte Ordnung der Dinge, soweit sie in einigen Ländern seit jeher geschont blieb, sondern auch alle neuen gesetzlich geschaffenen Institutionen. […] In den gegenwärtigen Zeiten ist der Übergang vom Alten zum Neuen mit ebensoviel Gefahr verbunden als die Rückkehr vom Neuen zu dem, was nicht mehr vorhanden ist. Beides kann gleichmäßig den Ausbruch von Unruhen herbeiführen, was um jeden Preis zu vermeiden wesentlich ist. Auf keine Weise von der bestehenden Ordnung, welchen Ursprungs sie auch sei, abzuweichen, Veränderungen, wenn sie durchaus nötig scheinen, nur mit völliger Freiheit und nach reiflich überlegtem Entschluß vorzunehmen; dies ist die erste Pflicht einer Regierung, die dem Unglücke des Jahrhunderts widerstehen will. Ein solcher Entschluß, wie gerecht und natürlich er auch sein möge, wird allerdings hartnäckige Kämpfe verursachen; allein der Vorteil, auf eine bekannte und anerkannte Grundlage gebaut zu haben, ist augenscheinlich, weil von diesem Stützpunkte aus es leicht sein wird, die notwendig unsichere Bewegung des Feindes nach allen Richtungen hin aufzusuchen und zu vereiteln.

Zwei große Rettungsmittel sind gegenwärtig jeder Regierung zugesichert, die, im Gefühl ihrer Würde und ihrer Pflicht, nicht entschlossen ist, sich selbst zugrunde zu richten. Das eine dieser Mittel beruht auf der befriedigenden Überzeugung, daß unter den europäischen Mächten durchaus kein Mißverständnis obwalte, und daß man nach den unveränderlichen Grundsätzen der Monarchie auch keines voraussehen könne. Diese über jeden Zweifel erhabene Tatsache befestigt und verbürgt unsere Lage und unsere Kraft. Das andere Mittel ist die im Laufe der letzten neun Monate gebildete Vereinigung, die mit Gottes Hilfe durch Festigkeit und Treue unauflösbar werden wird.

Auszüge zitiert nach: W. Wulf (Hrsg.), Restauration und Liberalismus 1815-1849, Frankfurt am Main 1974, S. 21f.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 29.02.2016 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 29.02.2016. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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