Der 30. Januar 1933 markiert in der deutschen Geschichtsforschung oftmals den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur. Die Ernennung Hitlers zum neuen Reichskanzler und der damit verbundene Prozess der sogenannten “Machtergreifung” ist daher ein zentraler Bestandteil der Kernlehrpläne im deutschen Geschichtsunterricht.
Der Begriff “Machtergreifung” hat sich in zahlreichen historischen Darstellungen nach 1945 als allgemeiner Fachbegriff etabliert. Ein genauerer Blick auf die Geschehnisse im Jahr 1933 offenbart aber, dass es sich damals keineswegs um einen abrupten und gewaltsamen Umbruch der politischen Ordnung im Deutschen Reich – etwa in Form einer propagierten “nationalen Erhebung” – gehandelt hat. Von einigen Historikern wurde daher der Begriff “Machtergreifung” durch “Machtübertragung” ersetzt, um auf die vielseitigen beeinflussenden Faktoren – beispielsweise Strukturschwächen der Weimarer Verfassung, Zustimmung in Bevölkerungskreisen und die Rolle konservativer Parteien – hinzuweisen.
Demzufolge ist die Errichtung des NS-Regimes als schrittweiser Transformationsprozess von der Demokratie der Weimarer Republik hin zum diktatorischen Führerstaat zu verstehen. Im weiteren Sinne war die demokratische Verfassung de facto bereits seit 1930 außer Kraft gesetzt, als das erste – ohne parlamentarische Mehrheit gedeckte – Präsidialkabinett regierte. Ohne die Zustimmung der bürgerlich-konservativen Parteien wäre die notwendige Mehrheit für das “demokratisch” legitimierte Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 nicht zustande gekommen. Für die Verabschiedung der Notverordnungen, die die Freiheits- und Grundrechte entkräfteten, bedurfte es der Zustimmung des Reichspräsidenten Hindenburg, der sich wiederum auf Artikel 48 der Weimarer Verfassung berief.
Vor diesem Hintergrund eignet sich in einer Geschichtsstunde eine genauere Analyse der sogenannten “Machtergreifung”. In dieser sollen die unterschiedlichen Faktoren berücksichtigt und unter der problemorientierten Leitfrage, inwiefern es sich im Jahr 1933 um eine “Machtergreifung” oder “Machtübertragung” handelte, untersucht werden. Für die Erarbeitungsphase könnten zwei oder mehrere Historikertexte herangezogen werden, die den Lernenden gegenübergestellt werden und die Kontroversität in der Geschichtswissenschaft verdeutlichen. In einer Vertiefungsphase erfolgt – auf Grundlage des Vorwissens und der Historikertexte – die Anbahnung eines begründeten Sachurteils zur oben formulierten Problemfrage.