Im frühen Mittelalter bildeten die weltliche und geistliche Gewalt eine Einheit. Diese Vorstellung ging zurück auf die sogenannte “Zwei-Schwerter-Lehre” aus dem Lukas-Evangelium. Auf dieser Grundlage formulierte im Jahr 494 Papst Gelasius eine eigene Interpretation dieser Lehre. In seinem Brief an Kaiser Anastasius beschrieb dieser das Verhältnis von Staat und Kirche folgendermaßen:
Denn durch zwei oberste Instanzen, erhabener Kaiser, wird diese Welt regiert: durch die geheiligte Autorität der Bischöfe und durch die königliche Gewalt. Von diesen beiden wiegt das Gewicht der Priester umso schwerer, als sie im göttlichen Gericht auch für die Könige der Menschen werden Rechenschaft geben müssen. Denn du weißt, allermildester Sohn [gemeint ist der Kaiser], dass du zwar dem Menschengeschlechte an Würde vorausgehst, dass du aber vor den Vorstehern der göttlichen Dinge fromm den Nacken beugst und von ihnen die Ursachen deines Heiles erbittest, und so erkennst du, dass du, damit die himmlischen Sakramente empfangen und so wie es sich gebührt ausgeteilt werden, dich nach der Ordnung der Religion eher unterordnen als an die Spitze stellen musst und dass daher du in diesen Dingen von ihrem [gemeint sind die Vorsteher] Urteil abhängst, nicht aber sie nach deinem Willen gelenkt werden wollen. Denn wenn sie in allem, was zur staatlichen Gehorsamsordnung gehört, die Befehlsgewalt anerkennen, die dir durch göttliche Anordnung übertragen ist, und deinen Gesetzen auch als Vorsteher der Religion gehorchen, damit sie nicht etwa in weltlichen Dingen [deiner] Meinung zuwiderzuhandeln scheinen: Mit welchen Empfindungen, so frage ich dich, ist es dann schicklich und geziemend, denen zu gehorchen, die eingesetzt worden sind, um die ehrwürdigen Mysterien auszuteilen? […] Und wenn es überhaupt schicklich ist, dass sich die Herzen der Gläubigen jedem Priester unterwerfen, der den Gottesdienst recht verwaltet, um wie viel mehr müssen sie dann dem Bischof jenes Stuhls Zustimmung gewähren, der nach dem Willen der höchsten Gottheit vor allen Priestern hervorragt […]?
Zitiert nach: Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen, Bd. 1/Altertum, München 1975, S. 820.