Campe: Augenzeugenbericht aus Paris

Kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution reiste der deutsche Pädagoge Joachim Heinrich Campe im Juli 1789 nach Paris. Er gilt als einer der ersten Augenzeugen, die die deutsche Öffentlichkeit über die revolutionären Ereignisse aus Frankreich informierten. Am 9. August 1789 schrieb er in seinem “Augenzeugenbericht aus Paris” :

Das Erste, was uns, außer der hin und her wallenden Volksmenge auffällt, sind die vielen, dicht in einander geschobenen Menschengruppen, welche teils vor vielen Haustüren, wo entweder Bürgerwachstuben sind oder Bäcker wohnen, teils vor allen denjenigen Häusern erblicken, deren Mauern mit Affichen beklebt sind. Diese Affichen oder Bekanntmachungszettel sieht man in allen Straßen, besonders an den beiden Seitenwänden aller Eckhäuser und an dem ganzen Gemäuer aller öffentlichen Gebäude auf den Quais und sonstigen freien Plätzen, eine so unzählbare Menge, dass ein rüstiger Fußgänger und geübter Schnellleser den ganzen Tag, vom Morgen bis an den Abend herumlaufen und lesen könnte, ohne nur mit denjenigen fertig zu werden, welche man an jedem Tag von neuem ankleben sieht. […] Denken Sie sich, wie diese Publizität, diese Teilnahme aller an allem, auf die Entwicklung der menschlichen Seelenkräfte, besonders auf die Verstandes- und Vernunftausbildung der Leute wirken muss! – Vor jedem, mit dergleichen Zetteln, die in großen Bogen mit großer Schrift gedruckt bestehn, beklebten Hause, sieht man ein unendlich buntes und vermischtes Publikum von Lastträgern und feinen Herrn, von Fischweibern und artigen Damen, von Soldaten und Priestern, in dichten, aber immer friedlichen und fast vertraulichen Haufen versammelt, alle mit emporgerichteten Häuptern, alle mit gierigen Blicken den Inhalt der Zettel verschlingend, bald leise, bald mit lauter Stimme lesend, darüber urteilend und debattierend. […] Auffallend und befremdend für den Ausländer ist hier der Anblick ganz gemeiner Menschen aus der allerniedrigsten Volksklasse, z.B. der Wasserträger, welche in die Küchen aller Häuser der Stadt, wohin keine Wasserleitungen führen, mit dem unreinen Seinewasser versorgen, – auffallend, sage ich, ist es, zu sehen, welchen warmen Anteil sogar auch diese Leute, die größtenteils weder lesen noch schreiben können, jetzt an den öffentlichen Angelegenheiten nehmen; zu sehen, wie sie ihre Eimer wohl zwanzigmal in einer und eben derselben Straße niedersetzen, um erst zu hören, was der Colporteur ausruft oder was etwa einer von denen, welche von den Bekanntmachungszetteln sich angehäuft haben, mit lauter Stimme abliest und was von andern darüber geurteilt und vernünftelt wird; zu sehen – was ich mehrmals beobachtet habe – wie vier, fünf oder sechs solcher armseligen Lastträger mit einem ihrer Kameraden, der den seltenen Vorzug besitzt, Gedrucktes lesen zu können, in Verbindung treten, ihre Liards zusammenlegen, sich dafür gemeinschaftlich eines der fliegenden Blätter oder der kleinen Broschüren des Tages kaufen, und nun zwischen ihren Eimern oder sonstigen Lasten sich dicht zusammenstellen, um den vorlesenden gelehrten Kameraden mit vorgehaltenem Ohre, starren Augen und offenem Munde zuzuhören.

Auszüge zitiert nach: R. Reichardt (Hg.), Die Französische Revolution, Würzburg 1988, S. 43 f.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 22.02.2016 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 22.02.2016. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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