Aufgrund des Investiturstreits war Heinrich IV. als römisch-deutscher König bei einigen Reichsfürsten umstritten. Die vorliegende Quelle ist eine Lebensbeschreibung, die vermutlich in den Jahren nach Heinrichs Tod (1106) von einem anonymen Autor verfasst wurde und den König auffällig positiv darstellt:
Sie [die deutschen Fürsten] erkannten jedoch, dass sie den König zwar bekriegen, aber nicht überwinden konnten, denn noch war seine Macht unerschütterlich, und um sie zu untergraben, erdichteten sie so schändliche Verbrechen und unsaubere Geschichten, wie sie nur Hass und Neid sich ausdenken konnten, und verbreiteten sie schriftlich […]. Der Papst ließ sich durch diese Kriecherei täuschen und zugleich reizte ihn die Ehre, den König einzusetzen, die sie ihm hinterlistig angeboten hatten, und so belegte er den König mit dem Bann und schärfte den Bischöfen und den übrigen Reichsfürsten ein, sich der Gemeinschaft mit dem exkommunizierten König zu entziehen; er werde bald nach Deutschland kommen, wo über kirchliche Angelegenheiten und vor allem über das Reich verhandelt werden sollte. Ja, er ging noch weiter: Er löste alle, die dem König Treue geschworen hatten, von ihrem Eid, um durch diese Lösung auch die gegen ihn aufzureizen, die der Treueid noch an ihn band. Dies missbilligten viele – wenn es erlaubt ist, etwas zu missbilligen, was der Papst getan hat, und erklärten, dies sei ebenso unwirksam wie rechtswidrig. Aber ich wage nicht, ihre Überlegungen anzuführen, um nicht den Anschein zu erwecken, mit ihnen die Tat des Papstes zu verurteilen. Bald entzogen ihm die meisten Bischöfe aus Angst um ihre Stellung ihre Hilfe, sowohl diejenigen, die Liebe, als auch die, die Furcht auf die Seite des Königs getrieben hatte, und so handelte auch die Mehrzahl der weltlichen Fürsten. Als Heinrich erkannte, wie sehr er in Bedrängnis geraten war, fasste er in aller Heimlichkeit einen schlauen Plan; plötzlich und unerwartet reiste er dem Papst entgegen und erreichte mit einem Schlag zwei Dinge: Er empfing die Lösung vom Bann und unterband durch sein persönliches Dazwischentreten die für ihn bedenkliche Zusammenkunft des Papstes mit seinen Widersachern. Auf das ihm zur Last gelegte Verbrechen ging er kaum ein, weil er, wie er betonte, auf Anschuldigungen seiner Gegner, selbst wenn sie auf Wahrheit beruhten, nicht antworten müsse.
Was hat es euch nun genützt, seine Bannung betrieben zu haben, da er, vom Banne gelöst, seine Macht machtvoll ausübt? Was hat es euch nun genützt, ihn erfundener Schandtaten angeklagt zu haben, da er eure Anklage mit einer kurzen Antwort zurückwies, so leicht, wie der Wind den Staub verweht? Wahrlich, welcher Wahnsinn hat euch die Waffen gegen euren König und den Lenker des Erdkreises in die Hand gedrückt? Nichts nützt eure böswillige Verschwörung, nichts erreicht sie! Ihn, den Gottes Hand auf den Königsthron erhoben, kann eure Hand nicht herabstoßen.
Zitiert nach: R. Buchner, Ausgewählte Quellen zur Geschichte des deutschen Mittelalters, Band XII/Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., Darmstadt 1963, S. 421, übersetzt von Irene Schmale-Ott.