Chlodwig einigt das Frankenreich

Nach der Völkerwanderung gründeten einige germanische Stämme auf ehemals römischen Gebiet ihre eigenen Kleinreiche. Von diesen setzten sich am Ende des 5. Jahrhunderts die Franken unter Führung ihres Heermeisters Chlodwig durch, der alle Stämme zum Fränkischen Reich einigen konnte. Über diesen Vorgang berichtete der Geschichtsschreiber und Bischof Gregor von Tours in seinem Werk “Decem libri historiarum” (II, cap. 40):

Als aber Chlodovech [Chlodwig] nun seinen Sitz zu Paris hatte, schickte er heimlich zum Sohne des Sigibert und sprach: “Siehe, dein Vater ist alt geworden und hinkt auf einem verkrüppelten Bein. Stürbe er, so würde die zugleich mit unserer Freundschaft mit Recht sein Reich zuteil werden.” So wurde jener zur Herrschsucht verlockt und sann darauf, wie er den Vater tötete. Einst verließ dieser Köln und ging über den Rhein, um im Buchonischen Walde umherzuschweifen; und als er zum Mittag in seinem Zelte schlief, kamen gedrungene Mörder über ihn, und sein Sohn ließ ihn töten, um selbst die Herrschaft an sich zu reißen. Aber Gott ist gerecht, und er fiel selbst in die Grube, die er seinem Vater schändlich gegraben hatte. Er schickte nämlich alsbald Boten an König Chlodovech und ließ ihm den Tod seines Vaters melden; sie sprachen: “Mein Vater ist tot, und sein Reich und seine Schätze sind mein. Sende etliche von deinen Leuten zu mir, und willig will ich dir schicken, was dir von den Schätzen meines Vaters gefällt.” Jener aber sprach: “Dank für deinen guten Willen; wenn unsere Leute zu dir kommen, so zeige ihnen, ich bitte dich, nur alles, du magst es dann selbst behalten.”

Und da sie kamen, öffnete er ihnen den Schatz seines Vaters. Als sie nun dies und jenes in Augenschein nahmen, sagte er: “In diesen Kasten pflegte mein Vater seine Goldstücke zu legen.” “Stecke doch einmal deine Hand hinein bis auf den Boden”, sagten sie, “und finde alles”. Er tat dies und beugte sich tief, da aber erhob einer den Arm und hieb ihm mit der Axt in den Hirnschädel; so traf ihn dasselbe Los, das er ruchlos seinem Vater bereitet hatte. Da aber Chlodovech hörte, daß Sigibert wie auch sein Sohn tot waren, kam er an Ort und Stelle und berief alles Volk. “Hört”, sprach er darauf, “was sich zusammengetragen hat. Während ich die Schelde entlang fuhr, trachtete Chloderich, der Sohn meines Blutsvetters, seinem Vater nach der Herrschaft und machte ihn glauben, ich wolle ihn töten. Als dieser deshalb durch den Buchonischen Wald floh, schickte er ihm Mörder nach und ließ ihn ermorden. Darauf wurde er selbst, während er seines Vaters Schätze auftat, von irgendeinem mir unbekannten Manne gleichfalls erschlagen. An all diesem bin ich durchaus ohne Schuld. Denn das Blut meiner Stammvettern darf ich ja nicht vergießen, und schändlich wäre es, wenn ich es täte. Da es jedoch einmal so gekommen ist, so gebe ich euch diesen Rat, wenn es euch genehm ist: Wendet euch zu mir, daß ihr sicher lebt unter meinem Schutze”.

Als sie dies hörten, schlugen sie an ihre Schilde, riefen Beifall, hoben ihn auf den Schild und setzten ihn zum König über sich. So empfing er Sigiberts Reich und seine Schätze, und es kamen die Leute desselben unter seine Herrschaft. Gott aber warf Tag für Tag seine Feinde vor ihm zu Boden und vermehrte sein Reich, darum, daß er rechten Herzens vor ihm wandelte und tat, was seinen Augen wohlgefällig war.

Zitiert nach: Gregor von Tours, Historiarum libri decem, II, cap. 40, übersetzt von R. Buchner, in: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.): Geschichte in Quellen, Mittelalter, Band 2, München 1975, S. 29 f.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 06.04.2016 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 06.04.2016. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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