Im 11. Jahrhundert entbrannte zwischen weltlicher und geistlicher Macht im Heiligen Römischen Reich ein Streit um die Vorherrschaft. In dieser Zeit bemängelte die römisch-katholische Kirche das ausschweifende und verweltliche Leben der Geistlichen, das sich durch Simonie und Laieninvestitur auszeichnete. Ausgehend von der Benedektinerabtei Cluny in Burgund begann eine Kirchenreform, die die politischen Verhältnisse zwischen Kaiser und Papst nachhaltig verändern sollten. Damit begann der Investiturstreit. Über die Klosterreform von Cluny 1071 und seinen Aufenthalt im Kloster Siegburg berichtete der zeitgenössische Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld in den “Annalen” :
Erzbischof Anno von Köln vertrieb die Kanoniker aus Saalfeld und führte dort mönchisches Leben ein, indem er Mönche aus Siegburg und St. Pantaleon hinschickte. Zu dieser Zeit kam auch ich dorthin, um mit ihnen die Ordnung und Zucht des Klosterlebens zu besprechen, denn ihre Vortrefflichkeit wurde im Volke außerordentlich gerühmt. Nun, wie gewöhnlich alles durch beständige Gegenwart an Wert verliert und der auf Neues erpichte Sinn der Leute das Unbekannte stets mehr anstaunt, so achteten sie uns, die sie durch dauernden Umgang kannten, für nichts und hielten diese, die etwas Neues und Ungewohntes zu bieten schienen, nicht für Menschen, sondern Engel, nicht für Fleisch, sondern für Geist. Und dieses Vorurteil hatte sich in den Köpfen der Vornehmen noch tiefer und fester eingenistet als in denen der einfachen Leute. Von jenen aus war diese Meinung ins Volk gedrungen und erregte in den meisten Klöstern dieses Landstrichs solche Angst, daß bei ihrem Herannahen hier dreißig, dort vierzig und anderswo fünfzig Mönche, durch die Furcht vor einem strengeren Leben verscheucht, die Klöster verließen und es für besser hielten, ihr Seelenheil in der Welt in Gefahr zu bringen, als über das Maß ihrer Kräfte hinaus mit Gewalt das Himmelreich erobern zu wollen.
Und in der Tat, nicht ohne Grund hat der Heer über die Mönche unseres Landes Verachtung ausgeschüttet. Denn die persönliche Schändlichkeit einiger Pseudomönche hatte das Mönchtum in sehr üblen Ruf gebracht, denn sie kümmerten sich nicht mehr um göttliche Dinge, sondern beschäftigten sich ausschließlich mit Geld und Gewinn. Sie bestürmten die Ohren der Fürsten ungestüm nach Abteien und Bistümern und bemühten sich um kirchliche Würden nicht wie unsere Vorfahren auf dem Wege der Tugenden, sondern suchten sie sich auf dem Schleichweg der Gunstbuhlerei und durch verschwenderische Freigebigkeit mit ihren übel erworbenen Geldern zu ergattern. Selbst um ein kleines Amt zu erkaufen, versprachen sie täglich goldene Berge und schlossen weltliche Käufer durch ihr übermäßig hohes Angebot aus, und der Verkäufer wagte nicht, so viel zu fordern, wie der Käufer zu zahlen bereit war. Die Welt fragte sich staunend, aus welcher Quelle eigentlich dieser gewaltige Geldstrom hervorsprudele, wieso Privatleute Schätze wie Krösus und Tantalus hätten anhäufen können und noch dazu gerade solche Menschen, die das “Ärgernis des Kreuzes” und den Ehrentitel der Armut als Aushängeschild benutzten und vorgaben, außer einfacher Nahrung und Kleidung nichts zu besitzen. Dieses Unkraut im Acker des Herrn, diese dem ewigen Feuer zubereiteten dürren Reiser und Halme im Weinberg Gottes hatten den ganzen Leib der heiligen Herde verseucht, und, wie der Apostel sagt, ein wenig Sauerteig hatte den ganzen Teig versäuert, so daß wir alle nun für ihresgleichen gehalten wurden und man glaubte, unter uns sei keiner, auch nicht ein einziger, der tugendhaft lebe.
Deshalb beriefen die Fürsten des Reichs Mönche von jenseits der Alpen zur Errichtung einer Schule des göttlichen Dienstes in Gallien, alle unsere Landsleute aber, die sich nicht freiwillig ihren Anweisungen fügen wollten, verjagten sie mit Schande aus den Klöstern. Ich aber kam, wie gesagt, zu ihnen, und habe mich vierzehn Wochen teils in Saalfeld, teils in Siegburg bei ihnen aufgehalten und dabei gemerkt, daß unsere Gewohnheiten besser als die ihrigen mit der Regel des heiligen Benedikt übereinstimmten, wenn wir ebenso fest an unserm Vorsatz halten und ebenso streng der Tradition unsrer Vorgänger nacheifern wollten.
Zitiert nach: Liber pontificalis Stephan II, cap. 46-50, übersetzt von o. Abel, in: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.): Geschichte in Quellen, Mittelalter, Band 2, München 1975, S. 232 f.