Im Juni 1833 hielt Österreichs Staatskanzler Metternich für Kaiser Franz einen Vortrag, in dem dieser seine Sorgen über die Gründung des Deutschen Zollvereins äußerte. Er wies auf eine zu dominante Stellung Preußens im Deutschen Bund hin, die den europäischen Frieden gefährden und den politischen Einfluss Österreichs zurückdrängen könnte:
Hatte nun schon der preußische Zollverein, wie er zu Ende des Jahres 1832 bestand, eine zu ernstem Nachdenken auffordernde feste Gestalt angenommen, so ist er seitdem in Folge des bayerisch-württembergischen Anschlusses zu einer Größe gediehen, die ihn zum wahrhaft wichtigen Zeitereignisse stempelt. […]
Die commerciellen Nachtheile, welche selber für die österreichische Monarchie nothwendig haben muß, Eurer Majestät näher zu entwickeln, muß ich der Finanzbehörde, wenn Eure Majestät sie darum zu befragen geruhen wollen, überlassen. Es kann aber auch dem uneingeweihten Blicke nicht zweifelhaft bleiben, daß eine und dieselbe fremde Zoll-Linie, die die Grenzen der Monarchie von Krakau bis Salzburg und Bregenz umfaßt, unseren ganzen westlichen Ein- und Ausfuhrhandel, mit Ausnahme des Dèbouchès auf der Elbe, welches aber natürlich nur in einer einzigen Richtung nutzbar und zu verwenden ist, unbedingt beherrscht; und wenn man bedenkt, daß diese Herrschaft in die Hände eines Staates wie Preußen gelegt ist, welcher in Natur- wie in Industrie-Producten auf den Märkten Europas als einer unserer vorzüglichsten Nebenbuhler betrachtet werden kann, so läßt sich von dessen neu erworbenem Einflusse auf alle unsere Communicationswege durch und mit Deutschland nur eine sehr ungünstige Rückwirkung auf Production und Industrie im Kaiserstaate erwarten.
Allein noch viel bedenklicher dürfte diese Rückwirkung auf dem politischen Felde sich für uns gestalten; und man möge das allgemeine Interesse des deutschen Bundesvereines oder den Österreich gebührenden Einfluß in selbem, oder endlich den moralischen Zustand der Parteien in der jetzigen Zeit vorzüglich vor Augen haben, so wird man in jeder dieser Beziehungen von den durchaus schädlichen und gefährlichen Wirkungen dieses preußischen Zollsystems sich überzeugen müssen.
Erlauben mir Eure Majestät Allerhöchstderselben in Kurzem folgende Betrachtungen hierüber in Ehrfurcht vorzulegen: Der Deutsche Bund kann nur dann als eine wahrhaft wohlthätige politische Stiftung betrachtet werden und nur dann seine hohe Stellung in dem europäischen Staatensysteme behaupten, wenn er unverbrüchlich dem Grundcharakter des Vereines, Gleichheit der Rechte und der Pflichten der Glieder desselben, treu bleibt. Jede Präponderanz, jedes Vorrecht irgend einer Macht (mit Ausnahme des lediglich formellen Präsidiums Österreichs am Bundestage) ist dem Bundesvereine, wie ihn die Wiener Congreß-Acte schuf, gänzlich fremd; alle Mitglieder desselben sollen das ihnen verfassungsgemäß zukommende Stimmrecht am Bundestage und den daraus hervorgehenden Antheil an der obersten Leitung der Bundesgeschäfte gleichmäßig frei und ungehindert ausüben, und wenn sich bis jetzt kleinere Bundesglieder bei Geltendmachung dieses Stimmrechtes der Anleitung dieses oder jenes größeren Hofes besonders hingaben, so war dieses zwar eine Folge des natürlichen Einflusses, den in jedem freien oder geschlossenen Vereine von Staaten der Mächtigere meist über dem Schwächeren ausübt; es war aber jedenfalls stets ein blos factisches, nicht aber ein rechtlich begründetes, ein wechselndes, nicht ein dauerndes Verhältniß; auch theilte sich dieser Einfluss nach den verschiedenen geographischen, persönlichen und Familienbeziehungen zwischen Österreich und Preußen; keiner von beiden Höfen nahm ihn ausschließlich in Anspruch; in Bundesangelegenheiten zumeist denselben Weg verfolgend, brachten beide im Endziel das Getheilte zusammen, und ging dennoch in einzelnen Geschäften ausnahmsweise ihre Bahn eine verschiedene Richtung, so hatte immerhin das Gewicht einer jeden dieser beiden Mächte sein Gegengewicht. Für den Bund lag in dem hieraus hervorgehenden System des Gleichgewichtes die wahre Bürgschaft der Fortdauer der durch die Grundgesetze begründeten vollen Unabhängigkeit und Rechtsgleichheit seiner Mitglieder.
Anders gestaltet sich die Sache in Folge der Bildung des preußischen Zollvereins. Eine reihe bisher unabhängiger Staaten verpflichtet sich gegen einen übermächtigen Nachbar in einem überaus wichtigen Zweige der öffentlichen Besteuerung, seinen Gesetzen zu folgen, sich seinen Administrativ- und Control-Maßregeln zu unterwerfen. Die in der Bundes-Acte stipulirte und bisher bestandene Rechtsgleichheit der Bundesglieder hört nun, wenigstens in Bezug auf diesen speciellen Theil der Staatshoheit, auf, um dem Verhältnis zwischen Patron und Clienten, zwischen Beschützer und Schutzbefohlenen Platz zu machen. In dem großen Bundesverein entsteht ein kleinerer Nebenbund, in dem vollsten Sinne des Wortes ein status in statu, welcher nur zu bald sich daran gewöhnen wird, seine Zwecke mit seinen Mitteln in erster Linie zu verfolgen und die Bundeszwecke und Bundesmittel nur in zweiter Linie, insofern sie mit dem ersteren sich vereinbaren lassen, zu berücksichtigen. Nach und nach werden die Vereinsstaaten unter der thätigen preußischen Leitung und bei den sich nothwendig bildenden gemeinschaftlichen Interessen in einen mehr oder weniger compacten Körper zusammenfließe, welcher bei jeder am Bundestage zur Verhandlung kommenden Frage (und dies nicht blos in den den Handel betreffenden Angelegenheiten) nach gemeinschaftlich verabredeten Grundsätzen vorangehen und in demselben Sinne abstimmen wird.
Zitiert nach: Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, hrsg. v. Richard Metternich-Winneburg, Teil II, Dritter Band, Wien 1882, S. 502 ff.