Ebert: Eröffnungsrede vor der Nationalversammlung

Nach dem Sturz des Kaiserreichs in der Novemberrevolution war die deutsche Republik am 9. November zweimal – von Scheidemann und Liebknecht – ausgerufen worden. Als die SPD auf dem Reichsrätekongress am 19. Dezember 1918 die Mehrheit der Stimmen erlangen konnte, war die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie gefallen. Am 6. Februar 1919 trat die Nationalversammlung in Weimar zusammen, weil Anhänger des Spartakusbundes in Berlin für einen Aufstand sorgten. Der ein paar Tage später zum Reichspräsident gewählte Friedrich Ebert hielt folgende Eröffnungsrede:

Die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum erstenmal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution; sie wird es in die Hände der Nationalversammlung zurücklegen.

In der Revolution erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft. Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gesichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzmäßigkeit. Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung lassen sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten. Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutschland. Wir verwehren niemandem eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiß diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiß sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst. Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann. […]

Deutschland darf nicht wieder dem alten Elend der Zersplitterung und Verengung anheimfallen. Geschichte und Anlage hemmen zwar einen straff zentralisierten Einheitsstaat zu bilden. Viele Stämme und viele Dialekte sind in Deutschland vereinigt, aber sie müssen zu einer Nation und einer Sprache zusammenklingen. Die Abgrenzung zwischen Reichsrecht und Stammesrecht mag im einzelnen umstritten bleiben. Im großen müssen wir uns aber alle einig sein, daß nur eine ungehemmte einheitliche Entwicklungsmöglichkeit unseres Wirtschaftslebens, ein politisch aktionsfähiges, festgefügtes, einiges Deutschland die Zukunft unsere Volkes sicherstellen kann. […]

Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble Herrschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes: alle Scheuern, alle Läger waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, – gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte – unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. Wir haben der Nationalversammlung nicht vorgegriffen. Aber wo Zeit und Not drängten, haben wir die dringlichsten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen uns bemüht. Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. […]

Wenn der Erfolg nicht unseren Wünschen entsprach, so müssen die Umstände, die das verhinderten, gerecht gewürdigt werden. Viele Unternehmer haben, verwöhnt durch den großen nationalen Markt der Kriegswirtschaft und die hohen sicheren Gewinne, die der alte monarchisch-militaristische Staat ihnen einräumte, verlernt, die notwendige Initiative zu entfalten. Wir richten deshalb an die Unternehmer den dringenden Appell, die Wiederbelebung der Produktion mit allen Kräften zu fördern. Auf der anderen Seite rufen wir die Arbeiterschaft auf, alle Kräfte anzuspannen zur Arbeit, die allein uns retten kann. Wir haben Verständnis für die seelischen Stimmungen derer, die nach übermäßiger Kraftausgabe in der Kriegszeit jetzt eine Entspannung suchen. Wir wissen, wie schwer es denen ist, die jahrelang im Felde gelebt haben, sich wieder in das friedliche Arbeitsleben hineinzufinden. Aber es muß sein! Wir müssen arbeiten und Werte schaffen, sonst gehen wir zugrunde. Sozialismus ist nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Produktion eine genügend hohe Stufe der Arbeitsleistung innehält. Sozialismus ist uns Organisation, Ordnung und Solidarität, nicht Eigenmächtigkeit, Egoismus und Zerstörung. Auch der alte Staat hätte es nicht vermeiden können, zur Deckung der ungeheuren Kriegsschulden die Staatswirtschaft weiter auszudehnen. In der Zeit der allgemeinen Not darf es für Privatmonopole und mühelosen Kapitalprofit keinen Raum mehr geben. Wir wollen planmäßig den Profit dort ausschalten, wo die wirtschaftliche Entwicklung ein Gewerbe zur Vergesellschaftung reif gemacht hat. Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848, so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe. Es charakterisiert durchaus die nur auf äußeren Glanz gestellte Zeit der Wilhelminischen Ära, das Lassallesche Wort, daß die klassischen deutschen Denker und Dichter nur im Kranichzug über sie hinweggeflogen seien. Jetzt muß der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen. Wir müssen die großen Gesellschaftsprobleme in dem Geiste behandeln, in dem Goethe sie im zweiten Teil des Faust und in Wilhelm Meisters Wanderjahren erfaßt hat: Nicht ins Unendliche schweifen und sich nicht im Theoretischen verirren. Nicht zaudern und schwanken, sondern mit klarem Blick und fester Hand ins praktische Leben hineingreifen! Denn der Mensch, der zur schwanken Zeit auch schwankend Gesinnung ist, der vermehrt das Übel und leitet es weiter und weiter. Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich. So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Ziel fest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen. So wollen wir wahr machen, was Fichte der deutschen Nation als ihre Bestimmung gegeben hat: “Wir wollen errichten ein Reich des Rechtes und der Wahrhaftigkeit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.”

Auszüge zitiert nach: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 326, S. 1 ff.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 08.03.2016 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 30.04.2022. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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