Um einen radikalen Bürgerkrieg infolge der Novemberrevolution 1918 zu verhindern, luden die Vertreter der neuen provisorischen Regierung (Rat der Volksbeauftragten) nach Berlin zu einer Reichskonferenz ein, auf der Friedrich Ebert am 25.11.1918 unter anderem die Weiterarbeit mit den alten kaiserlichen Eliten (Polizei, Reichswehr, Verwaltung) erklärte. Diese als “Ebert-Groener-Pakt” bezeichnete Zusammenarbeit begründete Friedrich Ebert folgendermaßen:
Als wir [die sechs Volksbeauftragten] die Regierung übernommen haben, sind wir vom dem Grundsatz ausgegangen, daß die gesamte politische Leitung des Reichs in die Hände des Rats der Volksbeauftragten gelegt wird. Dieser Rat besteht lediglich aus Vertretern der sozialistischen Parteien [MSPD und USPD]. Alle politischen Entscheidungen des Reichs liegen in den Händen dieser Körperschaft.
Aber […] Sie müssen eins beachten: Die Reichsmaschine ist ein etwas komplizierterer Apparat als der unserer Bundesstaaten, sei es auch der größte. Wir mußten, nachdem wir die politische Macht in die Hand genommen hatten, dafür Sorge tragen, daß die Reichsmaschine nicht zusammenbricht; wir mußten Sorge tragen, daß diese Maschine weiterläuft, um unsere Ernährung und Wirtschaft aufrecht erhalten zu können. Und das war kein leichtes Stück Arbeit. Wir haben unter Aufgebot aller Kräfte Tag und Nacht gearbeitet, um schließlich den Niedergang in einigen wenigen Tagen vor Augen zu sehen. Das konnten wir sechs Mann allein nicht machen; dazu brauchten wir die erfahrene Mitarbeit der Fachleute. Hätten wir die erfahrenen bisherigen Leiter der Reichsämter entfernt, hätten wir diese Stellen besetzen müssen mit Leuten, denen die erforderliche Erfahrung fehlt, dann wären wir in wenigen Tagen am Ende unseres Lateins gewesen. Wir haben deshalb an alle Reichsämter den dringenden Appell gerichtet, bis auf weiteres die Geschäfte weiterzuführen. Nur so war es möglich, den Zusammenbruch zu verhindern und über die Schwierigkeiten hinwegzukommen.
Zitiert nach: Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Bd. 2, 1926, S. 116f.
Generalleutnant Wilhelm Groener war seit dem 26. Oktober 1918 Nachfolger Ludendorffs und gehörte neben Hindenburg zum Oberbefehlshaber der OHL (später Reichswehr). In seinem 1957 erschienenen Werk “Lebenserinnerungen” begründete er die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Sozialdemokraten:
Die Aufgabe der Heeresleitung mußte es jetzt sein, den Rest des Heeres rechtzeitig und in Ordnung […] in die Heimat zu bringen und dem Offizierscorps als dem Träger des Wehrgedankens einen Weg in die neuen Verhältnisse zu ermöglichen. Die […] im […] Offizierscorps gesammelte moralisch-geistige Kraft mußte in ihrem Kern für die Wehrmacht der Zukunft erhalten werden. Der Sturz des Kaisertums entzog den Offizieren den Boden ihres Daseins […]. Es mußte ihm ein Ziel gewiesen werden, das […] ihm die innere Sicherheit wiedergab. Es mußte das Gefühl wachgerufen werden, der Verpflichtung nicht nur gegenüber einer bestimmten Staatsform, sondern für Deutschland schlechthin. Daß Hindenburg auf seinem Posten blieb und den Oberbefehl über das gesamte Heer übernahm, ja daß dieser ihm vom Kaiser übertragen worden war, machte den Übergang möglich und erleichterte ihn. Das Offizierskorps konnte aber nur mit einer Regierung zusammengehen, die den Kampf gegen den Radikalismus und Bolschewismus aufnahm. Dazu war Ebert bereit, aber er hielt sich nur mühsam am Steuer und war nahe daran, von den Unabhängigen und der Liebknechtgruppe über den Haufen gerannt zu werden. Was war demnach näherliegend, als Ebert, den ich als anständigen, zuverlässigen Charakter […] kennengelernt hatte, die Unterstützung des Heeres und des Offizierskorps anzubieten? […] Am Abend [gemeint ist der 10. November] rief ich die Reichskanzlei an und teilte Ebert mit, daß das Heer sich seiner Regierung zur Verfügung stelle, daß dafür der Feldmarschall und das Offizierskorps von der Regierung Unterstützung erwarteten bei der Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin im Heer. Das Offizierskorps verlange von der Regierung die Bekämpfung des Bolschewismus und sei dafür zum Einsatz bereit. Ebert ging auf meinen Bündnisvorschlag ein. Von da ab besprachen wir uns täglich abends auf einer geheimen Leitung zwischen der Reichskanzlei und der Heeresleitung über die notwendigen Maßnahmen. Das Bündnis hat sich bewährt. Für den Schritt des 10. November habe ich allein die Verantwortung zu übernehmen. Hindenburg wußte nichts von ihm, billigt ihn aber, nachdem ich die innenpolitische Lage in der Heimat eingehend mit ihm besprochen hatte.
Auszüge zitiert nach: Wilhelm Groener, Lebenserinnerungen, Göttingen 1957, S. 467ff.
Der “Ebert-Groener-Pakt” stieß bei vielen SPD-Politikern auf Widerstand. Rudolf Wissell, der im Dezember 1918 Mitglied im Rat der Volksbeauftragten war, kritisierte im Juni 1919 die Zusammenarbeit der neuen Regierung mit den alten Eliten des Kaiserreichs:
Trotz der Revolution sieht sich das Volk in seinen Erwartungen enttäuscht. Es ist nicht das geschehen, was das Volk von der Regierung erwartet hat. Wir haben die formale politische Demokratie weiter ausgebaut, gewiß, aber wir haben doch nichts anderes getan, als das Programm fortgeführt, das von der kaiserlich deutschen Regierung des Prinzen Max von Baden schon begonnen worden war. Wir haben die Verfassung fertiggestellt ohne tiefere Anteilnahme der Bevölkerung. Wir konnten den dumpfen Groll, der in den Massen steckt, nicht befriedigen, weil wir kein richtiges Programm hatten […].
Wir haben im wesentlichen in den alten Formen unseres staatlichen Lebens regiert. Neuen Geist haben wir diesen Formen nur wenig einhauchen können. Wir haben die Revolution nicht so beeinflussen können, als daß Deutschland von einem neuen Geist erfüllt erschiene. Das innere Wesen der deutschen Kultur, das gesellschaftliche Leben, erscheint wenig verändert. Vielfach nicht zum Besseren. Und das Volk glaubt, daß die Errungenschaften der Revolution lediglich negativen Charakter haben, daß an die Stelle einer militärischen und bürokratischen Herrschaft einzelner nur eine andere getreten ist und daß sich die Regierungsmaximen im Wesen nicht von denen des alten Regimes unterscheiden […]. Ich glaube, die Geschichte wird, wie über die Nationalversammlung, auch über uns in der Regierung hart und bitter urteilen.
Zitiert nach: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten in Weimar vom 10.-15. Juni 1919, Berlin 1919, S. 363f. Abgedruckt bei Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik; hrsg. von Kurt Kersten, Frankfurt am Main 1961, S. 89.